Verschweigen von zivilen deutschen Kriegsopfern

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Die Überreste von mehr als zweitausend toten Deutschen in der westpreußischen Stadt Marienburg, die vor zwei Jahren in einem Massengrab in unmittelbarerer Nähe der Marienburg entdeckt worden waren, unbekleidet und teilweise mit Einschußlöchern, überwiegend Zivilisten (Kinder, Frauen und alte Menschen), haben in der bundesdeutschen Öffentlichkeit – wenn überhaupt, die meisten Medien hüllten sich in Schweigen – nur eine kurze Welle der Empörung ausgelöst, bis sie wieder vergessen worden sind. Vergessen auch von der bundesdeutschen Politik, die an einer Aufklärung keinesfalls interessiert war und ist. Nach dieser ungeheuerlichen Entdeckung sind immer wieder Massengräber mit deutschen Zivilisten entdeckt worden, keine Kriegstoten, sondern alteingesessene Einwohner, die von den „Befreiern“, d.h. Militär, Milizen oder gar Nachbarn, ermordet worden sind, weil sie Deutsche waren. Die polnischen (Bierut) und tschechischen (Benes) Unrechtsdekrete haben jegliche Verbrechen an Deutschen gerechtfertigt. Zum Entsetzen leider nur weniger aufrechter Europäer haben diese Unrechtsdekrete mit dem Beitritt der Republik Polen und der Tschechischen Republik zur Europäischen Union Eingang in die europäische Rechts- und Wertegemeinschaft gefunden, da deren Aufhebung und zumindest eine symbolische Wiedergutmachung und Entschuldigung niemals ernsthaft in Betracht gezogen wurde.

Ansicht der Marienburg/Westpreußen

Massengrab in Marienburg – Deutsche Politiker tatenlos

Der Historiker und stellvertretende Vorsitzende der AGMO e.V., Tobias Körfer, hatte im April 2009 u.a. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, den Beauftragten für Aussiedler und nationale Minderheiten, Staatssekretär Christoph Bergner, Jochen-Konrad Fromme MdB, Erika Steinbach MdB (Präsidentin des Bundes der Vertriebenen), Helmut Sauer (Vorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung), die deutsche Botschaft in Warschau sowie das Generalkonsulat in Danzig angeschrieben. Ziel der Briefanfragen war, den aktuellen Sachstand sowie die Absichten der Adressaten hinsichtlich der Aufklärung des Verbrechens an deutschen Zivilisten in Marienburg und das weitere Vorgehen in Erfahrung zu bringen.

Hierbei schilderte T. Körfer die nicht hinnehmbaren Begleitumstände, daß die Überreste der Verstorbenen mit Baggern zu Tage gefördert wurden sowie die erste Einstellung der polnischen Staatsanwaltschaft nach drei Tagen mit dem Verweis auf Rotarmisten und die Wiederaufnahme der Untersuchungen nach Protesten junger, ortsansässiger Polen. Zwar haben die bundesdeutschen Vertreter beinahe vollständig sehr zügig geantwortet und ihr Interesse an einer Untersuchung bekundet. Bis heute sind der bundesdeutschen Öffentlichkeit jedoch keine Ergebnisse mitgeteilt worden. So antwortete das Bundeskanzleramt: „ (…) Der Bundesregierung ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Toten nach Abschluss der Ermittlungen und möglichst weitgehender Klärung der Hindergründe alsbald eine würdige letzte Ruhestätte finden.“ Und das Auswärtige Amt schrieb ähnlich: „(…) Alle haben ein Interesse an seriöser Aufklärung der Umstände wie an der gründlichen Vorbereitung einer würdigen Umbettung und Bestattung der Kriegstoten an einem geeigneten Ort in Polen (…).“
So sehr die AGMO e.V. auch die Beantwortung von Anfragen und Mitteilung guter Absichten begrüßt, so kann dennoch die tatsächliche Vertuschung der Verbrechen in Marienburg und an zahlreichen anderen Orten nicht verschwiegen werden wie es von offizieller Seite offenbar vielfach gewünscht wird. Oder gewünscht werden muß?

 

Ausgrabungen des Massengrabes bei der Marienburg mit schwerem Gerät

Verständigung setzt Ehrlichkeit und Offenheit voraus. Verschwiegene Probleme kehren eines Tages als große Belastung zurück. Jedenfalls ist eine Verweigerung bzw. Alibiuntersuchung keine „möglichst weitgehende Klärung“.

Zeichen des Gedenkens an der eingezäunten Fundstelle

Tote in Marienburg späte Opfer der Schlacht von Tannenberg?

Der Vorstand der AGMO e.V. - Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen besuchte im Rahmen seiner Vorstandsreise zu den deutschen Vereinigungen in Ost- und Westpreußen Ende August 2010 auch die Fundstelle des Massengrabes in Marienburg. Ein Hinweis auf die deutschen Opfer in Form eines Gedenksteins oder einer Gedenktafel war nicht zu finden. Die große Fläche, auf der ein Hotel entstehen sollte, wurde wieder eingeebnet. Statt eines würdigen Gedenkens für die deutschen Opfer war auf der Ecke der Freifläche ein Ausstellungspavillon zu finden, das mit großer Schrift auf die für die polnische Krone (und das Großfürstentum Litauen) siegreiche Schlacht gegen den Deutschen Orden bei Tannenberg und Grünfelde vom 15. Juli 1410 verwies. Die AGMO-Vorstandsmitglieder hielten einen Moment inne, um der ermordeten Deutschen zu gedenken.
Der Vorsitzende stellte nach Betrachtung aller Umstände ernüchtert fest, daß sich nichts ändern wird, solange sich keine bundesdeutsche Organisation speziell mit der Thematik der massenhaften Ermordung von Deutschen ernsthaft beschäftigen wird, so wie es die AGMO e.V. hinsichtlich der Problematik der fehlenden deutschen Kindergärten und Grundschulen als hartnäckiger Fürsprecher der in der Heimat lebenden Deutschen und ihrer Kinder seit Jahren vorexerziert.

Pavillon mit polnischer Tannenberg-Ausstellung am Ort des Massengrabes

Gedenken in Neumark und Betrachtungen des Heimatkreisvertreters Marienburg

Am 21. Oktober 2010 fand eine weitere Aussegnungsfeier auf der deutschen Kriegsgräberstätte Neumark bei Stettin mit Beteiligung des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge und des Heimatkreises Marienburg statt. Bodo Rückert, Heimatkreisvertreter Marienburg, schilderte seinen Rückblick auf die Ereignisse um das Marienburger Massengrab und führte aus, daß die anonym bestatteten Toten und deren Todesursache bis heute nicht bekannt seien, und daß der Wunsch der Marienburger, diese Toten in Marienburg zu bestatten, aus mehreren Gründen leider nicht realisiert werden konnte. In der Gedenkstunde wurden auch 558 Soldaten, die 2010 in Pommern und Westpreußen exhumiert worden waren, beigesetzt. Nunmehr ruhen mehr als 18.000 Tote auf der deutschen Kriegsgräberstätte in Neumark. Die provisorische Nachruftafel am Marienburger Großgrab soll im Frühjahr 2011 durch einen Gedenkstein ersetzt werden. Bodo Rückert beklagt resümierend nach Erhalt eines gerichtlichen Untersuchungsberichtes, daß die Bundesregierung dem polnischen „Institut für Nationalgedenken“ (IPN) die alleinige verantwortliche Ermittlung hinsichtlich der Identifizierung und Todesursache der Toten vor Ort übertragen hat. Der Heimatkreisvertreter stellt fest: „Unter befreundeten Staaten ist eine derartige Vorgehensweise in einer so sensiblen Angelegenheit heute nicht mehr üblich! Es sei denn, man könnte der Bundesregierung ein Desinteresse an der Aufklärung des Schicksals der Toten aus dem Massengrab Marienburg unterstellen.“

Neue Massengräber in zahlreichen EU-Staaten entdeckt

Im Frühjahr 2009 wurde in der Presse über ein Massengrab in Tüffer (Lsko) bei Cilli (Celje) in Slowenien in einem Bergwerk berichtet mit dem Hinweis, daß es sich bei den mehrere hundert Toten um Ermordete des kommunistischen Terrorregimes der Tito-Partisanen handele, die 1945 bis zu 300.000 Menschen umgebracht hatten. Allein in Slowenien werden 600 Massengräber vermutet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete am 10. November 2010 über ein weiteres Massengrab in Slowenien mit mehreren tausend Opfern der Tito-Partisanen nahe der ostslowenischen Ortschaft Dobova. Alleine die Ausmaße von 186 mal 4 Metern sind erschütternd. Laut FAZ handelt es sich bei den Toten überwiegend um ältere Menschen, „wahrscheinlich Angehörige der deutschen Volksgruppe“.
Zu den zahlreichen Opfern der „Befreiung“ gehören auch Sudetendeutsche auf dem heutigen Gebiet der Tschechischen Republik. In Postelberg waren am 3. Juni 1945 mehrere hundert Sudetendeutsche zusammengetrieben, in einer Kaserne eingesperrt und schließlich 763 Deutsche (nach tschechischen Untersuchungen) hingerichtet worden. Jan Zahradil, Europaabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der „Demokratischen Bürgerpartei“ (ODS) sprach sich gegenüber dem Fernsehmagazin Frontal (Sendung vom 08.08.2006) für einen Schlußstrich aus. Ein deutscher Zeitzeuge bedauerte, daß es bis heute nicht einmal gelungen ist, mit einem Gedenkstein an das Massaker von Postelberg zu erinnern. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich (SLÖ) berichtete im September 2010 von der Einweihung einer Begräbnisstätte für deutsche Soldaten und die Bestattung von 5600 Menschen im sudetendeutschen Eger (Cheb), unweit der Grenze zu Sachsen. Unwissenheit und Erstaunen wurde gezeigt, daß auch Zivilisten unter den Bestatteten waren. Mit der Ausstrahlung des tschechischen Filmes „Abschlachten auf Tschechisch“ von David Vondracek im öffentlich-rechtlichen Prager Nachrichtensender CT 24 zur besten Sendezeit und der Bestätigung der Echtheit der darin enthaltenen Amateuraufnahmen von Massenerschießungen an Deutschen ist ein Meilenstein erfolgt. Zumindest in der Tschechischen Republik wird über den Massenmord diskutiert, Polizei und Staatsanwaltschaft haben sich für zuständig erklärt. David Vondracek wurde für sein Werk mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis vom „Zentrum gegen Vertreibungen“ des Bundes der Vertriebenen ausgezeichnet.

Vielleicht wird in der Folgezeit irgendwann doch noch das (tschechoslowakische) Amnestiegesetz (ein Benes-Dekret) aufgehoben werden?

Nach dem bisherigen Verhaltensmuster der Bundesregierung und der auswärtigen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland kann derzeit kaum damit gerechnet werden, daß von dieser Seite ernsthaftes Interesse an einer Aufklärung sowie an einem angemessenen Gedenken der Opfer besteht. Somit bleibt es dem Zufall und Anstand einzelner Menschen oder Gruppierungen in den jungen EU-Mitgliedstaaten überlassen, ob die Verbrechen aufgeklärt, die Toten stillschweigend verscharrt oder vielleicht sogar auf einer Mülldeponie entsorgt werden.

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, kritisierte im Rahmen der BdV-Bundesversammlung am 23. Oktober 2010 in Berlin, daß die bundesdeutsche Politik jegliche Anteilnahme an den aufgefundenen Massengräbern mit deutschen Opfern vermissen lasse: „Es ist im Grunde genommen nahezu unglaublich, dass die Beisetzung der 2.116 deutschen Toten von Marienburg ohne hochrangige Beteiligung der Bundesregierung stattfand. Was wäre wohl geschehen, wenn es sich bei diesen Funden um polnische Opfer gehandelt hätte? Man mag es auch kaum für möglich halten, dass bei allen Einweihungen von Gedenkeinrichtungen an Massengräbern Deutscher in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien in all den Jahren zuvor niemals ein deutscher Minister oder gar Kanzler oder Bundespräsident zugegen war. Auch nicht bei der Einweihung des mit Abstand größten Massengrabes mit 12.000 Toten im heute serbischen Rudolfsgnad im Jahre 1997. Niemand in unseren Nachbarländern würde ein deutsches Regierungsmitglied und schon gar nicht ein Staatsoberhaupt daran hindern, bei einer Beisetzung oder der Errichtung einer Gedenkstätte für deutsche Opfer Mitgefühl zu zeigen. Für ein solches Zeichen von Mitgefühl und Menschlichkeit hätte jeder Verständnis, auch in unseren Nachbarländern.“ Erika Steinbach stellte demgegenüber fest, daß bei den Erinnerungsstätten nicht selten Mitgefühl, Anteilnahme und Engagement für die Schicksale Deutscher von dort lebenden Menschen zu erfahren sei. In Marienburg gab es lebhafte Diskussionen unter den heutigen polnischen Einwohnern, insbesondere in Internetforen. Durchgesetzt haben sich aber letztlich Staat und Behörden sowie wirtschaftliche Interessen. Zwar wird das geplante Hotel nicht an der Fundstelle gebaut, aber es steht noch immer kein Gedenkstein. Die Toten sind weit entfernt bestattet worden (Neumark bei Stettin), und eine ernstzunehmende gerichtliche Aufklärung gab es nicht.

Die Toten mahnen

Die Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Westpreußen, Sibylle Dreher, äußerte sich am 10.11.2010 zum Volkstrauertag wie folgt in einer Pressemitteilung:

„Als im Oktober 2008, vor über 2 Jahren ein Massengrab in Marienburg bei Bauarbeiten entdeckt wurde, schwieg sowohl die deutsche als auch die polnische Regierung. Sie schweigen noch immer – sieht so Versöhnung über den Gräbern aus?

Polnische Bürger der Stadt Marienburg/Malbork sorgten dafür, dass die polnischen Verantwortlichen nicht darüber hinweggingen und die Gebeine der Toten bargen, zählten und untersuchten. Es waren Skelette von über zweitausend zivilen deutschen Toten. Eine präzise Untersuchung des riesigen Massengrabes wurde nicht vorgenommen. Es wurde nichts vermessen, nicht systematisch fotografiert; die Knochen wurden ausgebuddelt ohne besondere Sorgfalt und Fachkunde. Das gerichtsmedizinische Gutachten wurde nur über weniger als 30 Knochenreste erstellt. Die Ermittlungen wurden den polnischen Behörden überlassen. Es ist sicher, dass das Auswärtige Amt vermeidet, sich in dieser deutsch-polnischen Frage um Aufklärung zu bemühen.

Mehrere Marienburger baten um Auskunft über die Identität der Toten, über den  Todeszeitpunkt und die Ursachen und Umstände des Todes. Warum waren die Toten ohne jede Bekleidungsreste, also nackt? Wie kamen sie alle in dieses Grab, wo ehemals die Kellergewölbe eines zerschossenen Hotels lagen? Wer wusste davon, bevor  Bauarbeiter es entdeckten? Es ist bekannt, dass es noch viele Massengräber mit deutschen Opfern in den deutschen Heimatgebieten gibt.

Auf meinen Brief reagierte die zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, bis heute gar nicht. Es schweigen auch die Verantwortlichen der Deutsch-polnischen Gesellschaft und andere Politiker, die Kenntnis von dem Brief haben. Bei über 2.000 deutschen Toten in Polen sollte den Historikern die Aufklärung übertragen werden, denn in den Archiven in Marienburg/Malbork und in Deutschland gibt es die Zeitzeugenberichte. Es müsste sich nur jemand zuständig fühlen; die Beauftragte für die deutsch-polnischen Beziehungen Pieper schweigt.

Zum Volkstrauertag wird wieder getrauert – offiziell mit Zapfenstreich, Kranzniederlegungen und Reden zum Frieden. Es ist gute Tradition, der Toten zu gedenken, die im Auftrage ihres Staates das Leben in einem Krieg lassen mussten. Inzwischen gibt es dankenswerterweise die Tradition, auch der zivilen Opfer von Kriegen zu gedenken. Und es tut gut, dass aus Staaten, die ehemals Kriegsgegner waren, Teilnehmer nach Deutschland kommen und gemeinsam mit Deutschen der Toten gedenken. 

Außenminister Guido Westerwelle wird am Volkstrauertag im Bundestag die Gedenkrede halten. Er hält Reden, während sein Ministerium verschweigt, dass über 2.000 zivile Tote mit Geldern der Bundesregierung auf einem Kriegsgräberfriedhof beerdigt wurden, obwohl es zivile Opfer sind und ihr Todeszeitpunkt deshalb willkürlich vor Kriegsende festgelegt wurde. Kein deutscher Minister hat dort je einen Kranz niedergelegt.

Die Angehörigen aber, die noch immer nicht wissen, wann und wie ihre Mutter, ihre Schwester oder ihr Bruder umkamen, warten vergebens auf Verständnis und Aufklärung. Sie erleben mitleidslose Verdrängung im Namen einer zweifelhaften Versöhnung über den Gräbern.“

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.