Amt und Verantwortung

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Die Führung der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen

Mutmaßlich unter dem Eindruck der zur Zeit anlaufenden Volkszählung in der Republik Polen ist ein zunehmend deutliches Bekenntnis der Institutionen der Deutschen östlich von Oder und Neiße und ihrer Spitzenvertreter zu ihrer deutschen Nationalität erkennbar. Hat man wohl verstanden, was die Stunde geschlagen hat?

Kritik auch aus den eigenen Reihen

Denn zugleich erheben sich zusehends Stimmen, welche die Versäumnisse der Führungsebene in ebenfalls bisher ungekannter Weise kritisch begleiten. In seinem Gespräch mit der Oberschlesischen Stimme (Nr. 4/2011) gewährt Erhard Bastek, einer der führenden und ersten Vertreter der deutschen Volksgruppe im Sejm aus Beuthen O/S, Einblicke in genau die Mängel, welche auch die AGMO e.V. seit Jahren kritisiert. Bastek zeigt sich enttäuscht darüber, daß es 20 Jahre nach Abschluß des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags immer noch keinen einzigen deutschen Kindergarten und keine einzige deutsche Grundschule für die Kinder der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen gibt. Die Ursachen dafür schreibt er einer wenig zufriedenstellenden Erfüllung der Vorschriften und Vorgaben des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages durch die polnische Seite zu.

Eine mögliche Lösung sieht er in einer „Europäisierung“ der Angelegenheit, da solch ein Schritt „die schlichte Konsequenz aus der Tatsache, daß die Politiker der deutschen Minderheit diese Fragen nicht mit Erfolg haben erledigen können“ wäre. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen dem Mangel an deutschen Kindergärten und Grundschulen sowie dem zahlenmäßigen Rückgang der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen offengelegt: „Da die grundlegenden edukationspolitischen Fragen bisher nicht in dem erwünschten Sinne gelöst worden sind, so verloren die meisten Menschen ihr Vertrauen in ihre Führung und zeigen nunmehr ein geringes Interesse an ihrer Unterstützung.“ Auch die jüngere Generation sieht das vollständige Fehlen deutscher Schulen als bedenklich an und verleiht den vorhandenen Sorgen in einem treffenden Kommentar in der Oberschlesischen Stimme, Nr. 6/2011, deutlich Ausdruck. Sie beklagt, „die Minderheit“ kämpfe nicht „für die Errichtung deutscher Schulen“ und „in den letzten 20 Jahren ihrer Tätigkeit“ sei es „nicht gelungen, dieses Ziel zu erreichen“.

Inhaltliche Wende der Volksgruppenarbeit dringend geboten

So stellt sich angesichts von Stimmen aus der Region und nicht von „Besserwissern aus Bonn oder Berlin“ vielmehr die Frage, ob es überhaupt möglich erscheint, in den kommenden Monaten und Jahren eine entscheidende, überlebensnotwendige Wende in der Arbeit für deutsche Kindergärten und Grundschulen herbeizuführen. Bedenken überwiegen nicht nur angesichts von Äußerungen in der Presse wie im Schlesischen Wochenblatt Nr. 2/2011, wo Norbert Rasch, der Vorsitzende der SKGD Oppeln, unter dem Titel „Wir prüfen unsere Strukturen“ die mangelnde Attraktivität mancher Gruppen des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) „Verwaltungsfehlern“ zuschreibt. Vielmehr noch keimen Zweifel auf, wenn Norbert Rasch, Jozef Kotys, Fraktionsvorsitzender der Deutschen Liste im Oppelner Sejmik, und Ryszard Galla, einziger deutscher Abgeordneter im polnischen Sejm in Warschau, Stellung zu den Diskussionen rund um die schlesische Autonomiebewegung RAS beziehen (Wochenblatt Nr. 9/2011). Die Aussagen dort sind aufschlußreich. Die Sicherheit jedoch, mit der die Drei offenbar auf die institutionelle Absicherung der Volksgruppe durch polnische Gesetze und den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag vertrauen, könnte sich als trügerisch erweisen. Spätestens dann, wenn im Zuge der Volkszählung, um mit Rasch zu sprechen, „einige Stücke aus unserer Torte herausfallen“ werden. Daß „zahlreiche Stücke“ herausfallen werden und die Volkszählung 2011 ein Desaster für die deutsche Volksgruppe werden könnte, befürchten viele, wie z.B. der Vorsitzende des DFK Glatz.

Forderungen werden erhoben, Freunde und Helfer nicht genannt

Es ist keineswegs so, daß die entscheidenden politischen Forderungen nicht vorgebracht würden. Beim Besuch einer Delegation des Europarats in Oppeln Anfang Februar 2011 artikulierte Gaida, wie sehr die Deutschen in der Republik Polen klares Handeln seitens der polnischen Regierung vermissen würden. Auch dürfte der Behauptung, „sämtliche Initiativen zur Förderung und zum Schutz der deutschen Sprache“ kämen aus den Reihen der „deutschen Minderheit“, kein Versehen zugrunde liegen. Bewußt oder unbewußt verschwiegen werden dabei wichtige Unterstützer der Arbeit der deutschen Vereinigungen östlich von Oder und Neiße in den letzten 30 Jahren.
Wenn Bernard Gaida jedoch bei Veranstaltungen wie in einem Grundsatzvortrag bei der Landesdelegiertenversammlung der Landsmannschaft Schlesien in Stuttgart am 20. Februar 2011 den Landsmannschaften und dem BdV für die Arbeit dankt, die von jenen bereits vor der politischen Wende für die Deutschen unternommen worden sei, hingegen das für die Gründung der ersten DFK-Verbände vor 1990 fundamentale Wirken der AGMO e.V. in den 1980er Jahren vollkommen unterschlägt, mag man nicht mehr an Zufälle glauben.
Vielleicht bleibt aus Schamgefühl bei solchen Gelegenheiten ungesagt, daß es die AGMO e.V. war, die im Zusammenwirken mit der DFK-Ortsgruppe Ratibor-Studen, zur Rettung der einzigen bilingualen Grundschule in der Woiwodschaft Schlesien durch eine breit angelegte Pressekampagne und Rundschreibenaktion beigetragen hat. Fast das gesamte DFK-Führungspersonal von der Kreisebene in Ratibor, über den Vorstand des Bezirks Schlesien, bis hin zum Führungsgremium des VdG schien in der heißen Phase von Januar bis April 2010 zumindest in dieser Frage wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

Kommunikationsprobleme – Ausbleibende Antworten auf schriftliche Anfragen

Zu einer derartigen Pflichtvergessenheit paßt, daß nicht bloß bei einzelnen Briefen an den VdG oder die SKGD Oppeln Antworten ausbleiben. Es hängt offenbar vom Zufall ab, ob schriftliche Anfragen mit der Bitte um Übermittlung von Zahlen und Statistiken zu den sogenannten „Samstagskursen“ oder anderen Vorgängen überhaupt beantwortet werden. Unter solchen Gesichtspunkten stellt sich zwangsläufig die Frage, was all die (Lippen-) Bekenntnisse zur „Zweisprachigkeit“, die die Volksgruppe anstrebt, wert sind? Eine „Zweisprachigkeit“, die von den führenden Vertretern der Volksgruppe selbst nicht ernst genommen wird, wie der Verlauf einer vom Haus für deutsch-polnische Zusammenarbeit (HdpZ) ausgerichteten Konferenz im Dezember 2010 in Stubendorf zeigte. Wie ist zu erklären, daß die Repräsentanten der deutschen Volksgruppe bei dieser Veranstaltung, wie auch sonst häufig der Fall, Polnisch redeten und ihre Aussagen anschließend ins Deutsche übersetzt wurden?
Nicht einer schriftlichen Antwort wert sind offenbar auch manche DFK-Gruppen in Schlesien bzw. Ost- und Westpreußen. Hierfür liegen der AGMO e.V. schriftliche Beweise aus Glatz und Elbing vor. Auf Anfragen mit der Bitte um dringend erforderliche Unterstützung an den VdG in Oppeln folgte keine Reaktion. Selbst mehrfache Nachfragen blieben ohne Entgegnung. Die Unbekanntheit der Möglichkeit, mit Unterstützung durch den VdG auch im Norden der Republik Polen „Samstagskurse“ durchzuführen, fügt sich demnach nur in den Gesamtzusammenhang ein. Die Melange von ausbleibenden Antworten, unklaren Zielsetzungen und dem Verschweigen von Unterstützern läßt die Forderung nach einer Überarbeitung der Bildungsstrategie aus dem Jahre 2005 fraglich erscheinen. Weshalb aufgrund der „Samstagskurse“, die bisher zumeist schlecht ausgestattet waren, in der beschriebenen Situation gleichsam zwangsläufig deutsche Schulen folgen sollen, erschließt sich zumindest nicht auf den ersten Blick (Stellungnahme von Bernard Gaida vom 16.03.2011 auf der Internetseite des VdG). Zumal es Bernard Gaida war, der in einem Gespräch im Magazin „Oberschlesien“ Nr. 12/2009 ankündigte bis zum Schuljahr 2011/2012 sollten vier bis fünf „deutsche Schulen“ entstehen. Bisher gibt es keine einzige davon.

Vielschichtige Problematik und zahlreiche Widersprüche

Die Vielschichtigkeit des ganzen Problems wurde noch einmal deutlich, als die AGMO e.V. nach der einstimmigen Ablehnung des Deutschen Bundestages „ihrer“ Petition aus dem Jahre 2008, Anfang Februar 2011 neben Bernard Gaida auch Norbert Rasch, Ryszard Galla und den Vorsitzenden der Deutschen Bildungsgesellschaft, Bruno Kosak, angeschrieben hatte. Es wurde darum ersucht, man möge seitens der Führung der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen gegen die in der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses vorgetragene Behauptung, die Deutschen in der Republik Polen würden selber keine deutschen Kindergärten und Grundschulen fordern, protestieren. Einzig Bernard Gaida reagierte mit direkt an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Lammert, gerichteten Schreiben, welches der AGMO e.V. in Kopie zuging. Demzufolge haben die Vertreter der deutschen Volksgruppe bereits bei der ersten Runde der deutsch-polnischen „Rundtischgespräche“ zur Bewertung der Ergebnisse des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages aus dem Jahre 1991 die Forderung erhoben, deutsche Kindergärten und Grundschulen einrichten zu können.
Der Widersprüche sind dennoch zu viele vorhanden, als daß die Worte vorbehaltlos akzeptiert werden könnten. Die Verantwortungsträger der deutschen Volksgruppe müssen sich vielmehr noch als an wohlfeilen Pressemeldungen vor Wahlen an ihren Handlungen für die Ihnen durch die Wahl gleichsam „Anvertrauten“ insbesondere für die flächendeckende Einrichtung deutscher Kindergärten und Grundschulen messen lassen. Die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen muß sich im Klaren darüber sein, wie schnell mit wechselnden politischen Mehrheiten, u.a. bei der kommenden Bundestagswahl 2013, in der Bundesrepublik Deutschland auch finanzielle Unterstützung und diplomatische Interessenvertretung an ihr Ende gelangen können. Es bleibt nicht mehr viel Zeit jetzt die Pflöcke einzurammen, an denen man sich zukünftig orientieren könnte.