Die Führung der deutschen Volksgruppe bezieht klar Stellung – werden den Worten Taten folgen?

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Zurzeit sehen sich die Deutschen in der Republik Polen gleich zwei Konfrontationen gleichzeitig ausgesetzt: Zum einen dem fortwährenden Fehlen deutscher Kindergärten und Grundschulen, das anlässlich des 20. Jahrestages des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, zum anderen der schlesischen Autonomie-Bewegung, deren Konstruktion einer schlesischen Nationalität die Stabilität der deutschen Volksgruppe gefährden könnte. Zu beiden Problemen fanden die politischen Vertreter bzw. die Presse der Deutschen in der Republik Polen während der letzten Monate klare Worte.

Kinder in einer Samstagsschule in Oberschlesien

Als beispielhaft bewertet die AGMO e.V., daß im Februar 2011 das „Mitteilungsblatt der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren“ gezeigt hat, wie meinungsbildende Organe der deutschen Volksgruppe ohne zusätzlichen Aufwand an Kosten und Mühen einen Beitrag zur flächendeckenden Einrichtung muttersprachlichen Deutschunterrichts erbringen können: Unter dem Titel „Unser Recht und unsere Pflicht“ wurden den Lesern ihre gesetzliche verbrieften Rechte dargelegt und verständlich erklärt, wie der – bei genauerer Betrachtung gar nicht komplizierte – Weg der  Beantragung und Durchsetzung des Deutschunterrichts zu bestreiten sei. Ergänzt wurde dieser Artikel durch eine Antragsvorlage, die lediglich ausgeschnitten, ausgefüllt und an die zuständige Schule zu verschicken war. Ob diesem Vorgehen Erfolg vergönnt ist, wird sich zu Beginn des neuen Schuljahres zeigen. Bereits jetzt dürfte jedoch klar sein: Nur wenn die politischen Forderungen der Volksgruppenorganisationen begleitet werden von einer systematischen Verbreitung der notwendigen Informationen innerhalb der deutschen Bevölkerung, kann das angestrebte bildungspolitische Ziel erreicht werden. Es muss allseits deutlich werden, was durch das Mitteilungsblatt trefflich formuliert wurde: „Unterricht in Deutsch als Muttersprache in der Schule – das ist unser am einfachsten erreichbares Recht. Es gibt keine Angelegenheit, die einfacher zu erledigen ist. Das ist unser Recht und unsere Pflicht gegenüber unseren Kindern und Vorfahren.“

Wenn dieses Recht also das am einfachsten erreichbare ist, muss man jedoch fragen, warum die deutsche Volksgruppe bis heute „über keine Schule mit Deutsch als Unterrichtssprache“ verfügt, wie Bernard Gaida, Vorsitzender des VdG, im Gespräch mit der Zeitschrift „Oberschlesien“ im Mai 2011  bilanzierte. Seine Erklärung für die Ursachen dieses Zustandes fasste er in der Formel zusammen: „rein theoretisch wird die Sprache und ihre Verwendung geschützt aber nicht gefördert“ – es fehle an „gesellschaftliche[r] Akzeptanz“ (diese zeige sich auch in der Beschädigung von Schildern mit deutschen Ortsbezeichnungen). Die momentan zumindest bei der gewählten Vertretung der deutschen Volksgruppe zunehmende Akzeptanz der deutschen Muttersprache ist aus Sicht der AGMO e.V. umso begrüßenswerter, als  unter insgesamt negativen gesellschaftlichen Voraussetzungen auf der Hand liegt, dass die schlesische Autonomiebewegung ebenso leicht agieren wie zu einer weiteren Verschärfung der Situation beitragen kann. Daher braucht es nicht zu verwundern, wenn Gaida auch in dieser Hinsicht kein Blatt vor den Mund nimmt: „Das Angebot der Nationalschlesier ist ein Rücktritt von diesem Reichtum [der schlesischen Kultur, Anm. d. Verf.] und eine Begrenzung der schlesischen Seele.“ Hellsichtiger als manche Kommentatoren in der Bundesrepublik weist Gaida auf die Zweischneidigkeit der schlesischen Nationalität hin, die mehrheitlich als „ein tatsächliches Bekenntnis zur polnischen Volkszugehörigkeit [deklariert]“ werde. Hingegen würde gerade die deutsche Verhandlungsposition in Fragen des Minderheitenrechtes durch statistische Verluste zugunsten des neuen Schlesiertums beschädigt. Es ist zu bedauern, dass Bernard Gaida, sich nicht immer mit derartiger Präzision äußert – im Pressebericht des VdG zum Pressefrühstück mit der Landsmannschaft der Oberschlesier Anfang Juni 2011 heißt es: „Für Herrn Gaida gibt es keine so große Linie des Unterschiedes zwischen einem Schlesier und einem Deutschen, wie es Manche behaupten. So eine Linie versuchen aber einige Umfelder darzustellen. Dazu ist man zu der Erkenntnis gekommen, dass jeder Deutsche der in Schlesien lebt auch gleichzeitig Schlesier ist. Dies kann man sehr gut verbinden, indem man in der ersten Frage in der Volkszählung deutsch und in der zweiten Frage schlesisch angibt.“ Nicht nur, dass man sich etwas mehr konkrete Kritik an Stelle eines Verweises auf gewisse „Umfelder“ wünschen könnte – zwar ist es nicht Aufgabe des VdG, seinen Mitgliedern Vorgaben für die Volkszählung zu machen, derart verwirren braucht man sie allerdings dennoch nicht.

Deutschunterricht an einer oberschlesischen Grundschule

Dass in Gaidas Feststellungen zu fehlenden deutschen Schulen womöglich ein allgemeiner bildungspolitischer Paradigmenwechsel der Funktionsträger der deutschen Volksgruppe deutlich wird, legt eine Reihe von Artikeln nahe, die im März durch die „Gazeta Wyborcza“ veröffentlicht wurden. Nach deren Meldung ist es auf parlamentarischer Seite der deutsche Sejm-Abgeordnete Ryszard Galla, der rückblickend eingesteht, dass die bisherige Konzeption nicht ambitioniert genug war: „Jetzt wird es immer deutlicher, daß eine deutsche Schule nützlich für uns wäre.“ In gleicher Weise meldete sich für den Oppelner Raum der SKGD-Vorsitzende, Norbert Rasch, und forderte ein neues System, das sowohl dem Wunsch nach einer „[typisch deutschen] Schule“ gerecht werde als auch der Notwendigkeit, die Anschlussfähigkeit der deutschen Schüler im polnischen Bildungssystem zu gewährleisten – man wolle nicht die „Jugend für den ‚Export‘ ausbilden“. Es wird deutlich, dass die betroffenen selbst ihren Bedarf am besten einschätzen können – eine Tatsache, die autarke Kindergärten und Grundschulen in Trägerschaft der deutschen Volksgruppe notwendig macht. Eine Forderung, welche die AGMO e.V. seit Jahren erhebt und die durch zahlreiche Veröffentlichungen, wie die AGMO-Studie aus dem Jahr 2007, belegt worden ist. Erneut meldete sich auch an dieser Stelle Bernard Gaida zu Wort und verwies auf die beiden entscheidenden – technischen – Ursachen für den Mangel an geforderten Bildungseinrichtungen: das gänzliche Fehlen deutscher Schulbücher sowie deutscher Fachlehrer und Deutschlehrer mit Schwerpunkt Deutsch als Muttersprache. Von besonderer Bedeutung sind diese neuerlichen Wortmeldungen auch deshalb, da sie im Kontrast zum Kurs der offiziellen polnischen Politik stehen – noch im April propagierte der Vertreter der polnischen Ministerpräsidentenkanzlei, Dr. Miszczak, auf dem XV. deutsch-polnischen Forum: „Zuerst die Symmetrie [zwischen deutscher Volksgruppe in Polen und der Polonia in Deutschland; Anm. d. Verf.] und erst dann die Wünsche der deutschen Minderheit“.

All diese Worte klingen zukunftsversiert und zielgerichtet mit Blick auf deutsche Kindergärten und Grundschulen – jedoch: Stellte man nicht einen solchen Sinneswandel schon vor zwei Jahren fest, als Bernard Gaida seinen Vorgänger Kroll ablöste? Und tatsächlich, scheinen diese wichtigen und richtigen Worte nicht von entsprechenden Taten begleitet zu werden. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Jahresbilanz 2010 des SKGD Oppeln: Dort findet sich eine Auflistung von 185 finanziell geförderten Projekten: Sie beinhalten keine unmittelbaren Ausgaben für muttersprachlichen Deutschunterricht, mit dem die mangelnden Angebote staatlicherseits kompensiert werden könnten – und punktuelle Kurse wie „Kinder lernen Kindergebete und Antworten zur hl Messe in Deutscher Sprache“ zeugen zwar von Engagement, sind letztlich jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch findet sich nur ein einziges Projekt, das Bezug nimmt auf den „Tag der Deutschen Sprache“ – wobei doch gerade zu diesem Anlass öffentlichkeitswirksam die notwendigen Forderungen hätten erhoben werden können.

Ob also ein tatsächlicher Richtungswechsel stattgefunden hat, muss fraglich bleiben – zumindest zeigen sich seine Symptome in öffentlichen Verlautbarungen der deutschen Volksgruppe bzw. ihrer Führungsriege. Sollten ihre Vertreter es jedoch ernst meinen, so müssen sie zweierlei leisten: Zum einen den eingeschlagenen Kurs auch bei politischem Gegenwind beibehalten, zum anderen Konzept und Finanzplan der eigenen Verbandsarbeit ihren Zielen anpassen, um sich konstruktiv in die Bildung neuer Strukturen einzubringen. Zumindest in Ostpreußen scheint man ein Gespür dafür entwickelt zu haben, wie den bestehenden Problemen zu begegnen ist.