„Der Geist von Breslau“

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AGMO e.V. begrüßt positive Signale, die letzte Woche von einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz in Breslau ausgegangen sind.

An der Alma Mater der schlesischen Hauptstadt fand vom 4. bis 7. Oktober 2011 eine Tagung mit dem Titel „Universität Breslau in der europäischen Kultur des 19.und 20. Jahrhunderts“ statt. Anlass war der 200. Jahrestag der Gründung der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau.

Hauptgebäude der Universität Breslau

In über 100 Vorträgen, die sämtliche universitären Fachbereiche abdeckten, boten die nicht nur polnischen und deutschen Vortragenden den Zuhörern ein buntes und facettenreiches Bild des Werdens und der Entwicklung der Universität.

Wissenschaftliches Vermächtnis aus der Zeit vor 1945 lebt fort

Der zeitliche Bogen wurde von der Vorgeschichte der 1811 erfolgten Neugründung der staatlichen preußischen Breslauer Universität bis zur Gegenwart, der inhaltliche von den Geistes- über die Sozial- zu den Naturwissenschaften gespannt. Nicht nur in den einzelnen Referaten konnte die enorme Bandbreite des vergangenen und aktuellen wissenschaftlichen Arbeitens in der Odermetropole verdeutlicht werden. Die den jeweiligen Konferenztag beschließenden Konzerte legten ebenso Zeugnis über künstlerische Impulse ab, welche die Universität Breslau verbreiten konnte. Deutlich wurde im Rahmen der einzelnen Referate herausgearbeitet, wie sehr das wissenschaftliche Vermächtnis aus den Jahren vor 1945 bis in die heutige Zeit hinein sichtbare Wirkung entfalten kann.

Deutsche und preußische Traditionen werden angenommen

Die heute polnische Universität zu Breslau unterdrückt diese Überlieferungen und Traditionen keineswegs, sondern greift sie vielmehr begierig auf und pflegt das preußisch-deutsche Erbe mit einem großen Einfühlungsvermögen, das in dieser Form an bundesdeutschen Universitäten kaum zu finden sein dürfte. Vitrinen mit Exponaten zur Vorkriegsgeschichte Breslauer Studentenverbindungen und Portraits preußischer Könige in der Aula Leopoldina zeugen von einer großen Unbefangenheit im Umgang mit deutscher Kultur und Geschichte.

Tobias Körfer während seines Vortrages im Oratorium Marianum der Universität Breslau

In seinem Vortrag über die „Geschichte der Traditionspflege der Universität zu Breslau durch die
Universität zu Köln ab 1951“ betonte Tobias Körfer, Vorsitzender der AGMO e.V. und Mitarbeiter der Breslauer Sammlung Köln (www.breslauer-sammlung.de), dass es genau diese Unvoreingenommenheit sei, die es Polen und Deutschen ermögliche, sich in den ehrwürdigen Räumlichkeiten in Breslau zusammenzufinden und gemeinsam Geschichte und Zukunft einer der vormals bedeutendsten deutschen Universitäten zu erörtern.

Jungen deutschen Wissenschaftlern eine Chance geben

Hervorgehoben zu werden verdient die positive Einstellung des Leiters des Organisationskomitees, Professor Jan Harasimowicz, jungen Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. Er betonte, wie wichtig es ihm gewesen sei, besonders
jüngeren Fachkräften aus dem Nachbarland Polens die Chance einzuräumen, sich mit ihren Forschungsergebnissen zu präsentieren. Darin sähe er persönlich die Zukunft seiner Breslauer Alma Mater. Zusätzlich dankte er in einem Gespräch am Rande der Konferenz der Breslauer Sammlung Köln sowie der Universität Köln dafür, dass diese sich als vormalige Patenuniversität und heutige Partneruniversität Breslaus ebenfalls mit einem Symposium und Festakt am 2. und 3. Dezember 2011 in Köln den wichtigen Fragen von Tradition und Partnerschaft zwischen der Oder- und Rheinmetropole annehmen werde. In Breslau hat man nicht erst dieses Jahr die Fenster weit aufgerissen, wie Benedikt XVI. dies vor wenigen Wochen im Bundestag in anderen Zusammenhängen ansprach, um den Mief des Misstrauens, der jahrzehntelang Herzen und Gedanken von Polen und Deutschen vergiftete, auszulüften. So bekam der Geist der Freiheit und Verständigung Luft zum atmen.

Unvoreingenommenheit muss auch für die deutsche Volksgruppe gelten

Die AGMO e.V. fordert eine entsprechende Unbefangenheit im Umgang mit deutscher Kultur und Sprache auch für andere gesellschaftliche und geographische Bereiche der Republik Polen. Sie empfiehlt all denjenigen, die dies- und jenseits von Oder und Lausitzer Neiße die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben, sich an Breslau ein Beispiel zu nehmen.

Insbesondere vor dem Hintergrund der zurückliegenden Parlamentswahlen, bei denen die Liste des „Wahlkomitees der Deutschen Minderheit“ eine herbe Niederlage einstecken musste, wäre es den deutsch-polnischen Beziehungen und der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen zu wünschen, wenn der „Geist von Breslau“ auch nach Oberschlesien und in andere Gegenden der Republik Polen gelangte, um sich dort zu verbreiten.

Offenes Bekenntnis zur eigenen deutschen Identität muss möglich sein

Vielen unnötigen Kleinkariertheiten im gegenseitigen Umgang, wie dem Streit um zweisprachige Ortsschilder, Gefallenen-Denkmäler oder die übergroße Vorsicht der deutschen Seite und Untätigkeit der polnischen Seite bei der Forderung nach einer flächendeckenden Einrichtung der unabdingbaren deutschen Kindergärten und Grundschulen, würde so die vermeintliche Berechtigung entzogen werden. Unsere Landsleute in Oberschlesien sowie in Ost- und Westpreußen könnten dann hoffen, sich bald unbefangen zu ihrer eigenen Kultur und Muttersprache in Schulen und in der Öffentlichkeit bekennen zu dürfen.

Leider waren aus unbekannten Gründen keine Vertreter der deutschen Volksgruppe aus Breslau oder Gesandte des „Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen“ (VdG) aus Oppeln während der Konferenz zugegen. Angesichts des fortschrittlichen Verhaltens der polnischen Seite im Rahmen der Breslauer Tagung, hätte eine Präsenz von Vertretern der Deutschen in der Republik Polen das Bild sehr gut abgerundet. Bei solchen Gelegenheiten könnte künftig unprätentiös und dennoch merklich die auch heute gegebene „deutsche Realität“ Schlesiens angemessen betont und gewürdigt werden.


Der Bericht stammt aus der Feder des Vorsitzenden der AGMO e.V. und wurde in abgewandelter Form in der Preußischen Allgemeinen Zeitung, S. 14, Nr. 41 – 15. Oktober 2011, abgedruckt.