Europas offenes Ohr für die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen - gute Voraussetzung für eine weitere Petition der AGMO e.V.

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Am vergangenen Donnerstag, dem 7. Februar, waren Vertreter der AGMO e.V. auf Einladung des ungarischen Sozialdemokraten Csaba Sándor Tabajdi und des französischen Grünen-Politikers Francois Alfonsi zu Gast im Europaparlament in Straßburg. Dort hatten der Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern. Ost- und Westpreußen die Möglichkeit, vor Fachpolitikern unterschiedlicher Fraktionen einen Vortrag über die Sprach- und Identitätskrise der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen und das Menschenrecht auf Muttersprache zu halten. Anschließend wurde mit den anwesenden Parlamentariern über Lösungsmöglichkeiten wie die von der AGMO e.V. seit jeher geforderte flächendeckende Einrichtung deutscher Vor- und Grundschulen in den Siedlungsgebieten der deutschen Volksgruppe diskutiert.

v.l.n.r.: Tobias Körfer, Tilman Fischer während des Vortrags
vor der Interfraktionellen Arbeitsgruppe

Den Rahmen hierzu bot die monatliche Sitzung der interfraktionellen Arbeitsgruppe für nationale Minderheiten [offizieller Name: „Interfraktionellen Arbeitsgruppe für traditionelle Minderheiten, Nationale Gemeinschaften und Sprachen“ (Intergroup for Traditional Minorities, National Communities and Languages)], der unter anderem als Mitglied des Europäischen Parlaments der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt (CSU), angehört. Bedauerlicher Weise konnten weder Posselt, noch die anderen deutschen Mitglieder der Arbeitsgruppe, diesen – aus Sicht der eigenen Volksgruppenpolitik doch sicherlich wichtigen – Termin wahrnehmen. Das Fehlen bundesdeutscher Abgeordneter war insofern irritierender als das sämtlicher polnischer Parlamentarier, als es sich doch letztlich um die ‘eigene’ Volksgruppe ging.

Deutsche Vor- und Grundschulen essentiell für Sprachbindung und Identitätsfestigung

Einleitend erörterte Tobias Körfer die Genese der heutigen muttersprachlichen Situation der Deutschen in der Republik Polen, wobei wieder einmal der Wert der argumentativen Grundlagenarbeit deutlich wurde, die mit der ersten AGMO-Studie geleistet worden war. Der Vorsitzende der AGMO e.V. arbeitete dabei die strukturelle Benachteiligung der Deutschen in der Republik Polen heraus, die aus dem vollständigen Fehlen deutscher Vor- und Grundschulen herrührt. Vor dem Hintergrund der sprachsoziologischen Entwicklungen konnte anschließend die Bedeutung klar unterstrichen werden, die eine konsequente Umsetzung der rechtlich-theoretisch vorhandenen Möglichkeiten muttersprachlicher Bildung hat. Wie jedoch die Alltagswirklichkeit der deutschen Volksgruppe von den juristischen Vorgaben abweicht, exemplifizierte der Vorsitzende der AGMO e.V. anschließend am Beispiel Schlesiens. Dabei konnte anhand der Ergebnisse der zweiten AGMO-Studie von August 2012, in der die Entwicklungen rund um die „Bilinguale Grundschule Nr. 5 für die deutsche Minderheit“ in Ratibor-Studen (Oberschlesien) wissenschaftlich aufbereitet wurden, die prekäre Lage deutscher muttersprachlicher Bildung in der Republik Polen veranschaulicht werden.

Europäischer Geist nutzt der deutschen Volksgruppe und der Mehrheitsgesellschaft

Im zweiten Teil des Vortrages schlug Tilman Fischer die Brücke zwischen den Mängeln des Bildungsangebotes für Angehörige der deutschen Volksgruppe und deren Stellung als sozialer Gruppe innerhalb der Gesellschaft der Republik Polen. Es wurde deutlich, dass mehr europäischer Geist im Umgang mit dieser größten nationalen Minderheit in der Republik Polen wünschenswert wäre. In diesem Zusammenhang war es notwendig, nochmals die seitens der AGMO e.V. bereits vor wenigen Wochen formulierte Kritik am jüngst erschienenen dritten Bericht der Republik Polen zur Anwendung des „Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten“ zum Ausdruck zu bringen. Abschließend fasste der stellvertretende Vorsitzende der AGMO e.V. die Teilerfolge der vergangenen Monate, wie die Annahme der AGMO-Petition im Juli 2012, mit der die AGMO e.V. gegen das Fehlen deutscher Vor- und Grundschulen beim Deutschen Bundestag Beschwerde eingelegte. Dies stünde im Kontrast zu unbefriedigenden Entwicklungen, wie den Ergebnissen der deutsch-polnischen Rundtischgespräche von Februar 2010 bis Juni 2011. Dennoch sei es dank des Vortrag in Straßburg und der vielfältigen Kontakte zu Europaparlamentariern aus den verschiedensten Mitgliedsstaaten der EU  berechtigt, Erwartungen und Hoffnungen, die sich seitens der AGMO e.V. vor allem an die europäische Politik richten, zu hegen.

v.l.n.r.: Francois Alfonsi MdEP (Grüne), Tobias Körfer (Vors. AGMO e.V.),
Csaba Sógor MdEP (EVP)

Angeregte Diskussion mit Europaparlamentariern

Dem Vortrag schloss sich eine interessierte Diskussion an, die bei Anwesenheit deutscher und polnischer Vertreter sicherlich hätte noch reger verlaufen können. Ebenso muss als Ergebnis der Sitzung festgehalten werden, dass sich die europäische Politik anders als manche Politiker auf nationaler Ebene neben der menschenrechtlichen auch der ökonomischen Dimension von Mehrsprachigkeit durch Erhalt der Muttersprache einer Volksgruppe bewusst ist. Dank einer Nachfrage des südtiroler Angeordneten Herbert Dorfmann konnte dieser Aspekt zum Ende der Diskussion vertieft und im Anschluss an die Sitzung im persönlichen Gespräch weitergehend erörtert werden.
Ebenso interessiert wie sein südtiroler Kollege zeigte sich im Gespräch Csaba Sógor, der der ungarische Minderheit in Rumänien angehört. Strukturelle Ähnlichkeiten verwandter Probleme nationaler Minderheiten in Ostmitteleuropa traten nicht nur in dieser Unterredung zutage. Die AGMO e.V. freut sich, in Straßburg auch den Blick Europas auf die vor allem durch das vollständige Fehlen deutscher Vor- und Grundschulen zurückzuführende Sprach- und Identitätsproblematik der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen gelenkt sowie weitere Freunde und Unterstützer ihrer Arbeit gefunden zu haben. Neben den parlamentarischen Mitgliedern der Gruppe war als Gast Ilze Brands Kehris vom Hochkommissariat für Nationale Minderheiten der OSZE anwesend, die in der Diskussion wichtige Hinweise und Anregungen gab.

Petition der AGMO e.V. an das Europaparlament

Nach diesem wichtigen Termin wird an den Europaabgeordneten Csaba Sándor Tabajdi, der zugleich Mitglied des Menschenrechtsausschusses des Europaparlaments ist, eine Petition übergeben werden, in der es um Intervention hinsichtlich der fehlenden deutschen Vor- und Grundschulen und der darauf fußenden Sprach- und Identitätskrise der Deutschen in der Republik Polen gebeten wird.
Der Vorstand der AGMO e.V. wertet die Gespräche in Brüssel als weiteren Erfolg der sachorientierten Arbeit unserer Organisation nach der Annahme der AGMO-Petition durch den Deutschen Bundestag. Erneut wurde deutlich, was sich alles politisch bewegen lässt, wenn nur der Wille dazu vorhanden ist, vorhandene Möglichkeiten zu nutzen und neue Wege zu gehen.

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.