Vom Glück eine Wahl zu haben - Ein Oberschlesier berichtet von seiner Teilnahme an der Europawahl 2014

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Diesen Bericht erhielt die AGMO e.V. von einem jungen Deutschen aus Kattowitz. Er beschreibt darin, wie glücklich er über die Möglichkeit war, an der Europawahl 2014 per Briefwahl in einem bundesdeutschen Wahlkreis teilzunehmen. Damit hatte er endlich die Gelegenheit durch das Wahlrecht sich als Deutscher anerkannt zu fühlen. Die AGMO e.V. freut sich darüber, durch die eigene politische Arbeit maßgeblich zur Information unserer deutschen Landsleute in der Republik Polen beigetragen und somit Wahlteilnahmen in die Wege geleitet zu haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich meine Familie entschieden, in Oberschlesien zu bleiben. Erst später wurde uns klar, dass das vielleicht nicht die beste Lösung war.

Für Jahrzehnte wurde die deutsche Sprache verboten. Meine Familie, wie viele andere, wurde mit Gewalt polonisiert. Viele Jahre nach dem Krieg, als bekannt war, dass mein Großvater immer noch zu Hause deutsch spricht, wurde er zur Zwangsarbeit in Russland verhaftet. Zum Glück, als er schon mit dem Zug in die Ukraine war, wurde für alle eine Amnestie angekündigt und er kann nach Hause zurückkehren.

Trotz der kleineren und größeren Verfolgungen versuchten wir, das deutsche Erbe zu pflegen, aber das größte Problem war natürlich die Sprache - die Angst war immer noch da. Später, als Reisen nach Deutschland schon möglich waren, verließen viele (Spät)Aussiedler unsere Heimat. Mit meiner Familie war es nicht anders. Da auch meine Eltern jetzt in Gelsenkirchen in der Bundesrepublik Deutschland leben und ich ein Mitglied des Bundes der Deutschen Jugend in Polen und des Deutschen Freundschaftskreises im Bezirk Schlesien bin, habe ich – nachdem ich über die AGMO e.V. Information über das Wahlrecht für Auslandsdeutsche erhielt – die Stadt Gelsenkirchen um Eintragung in das Wählerverzeichnis zur Bundestagswahl 2013 gebeten.


Leider habe ich ein Schreiben bekommen, in dem stand, dass es für mich nicht möglich wäre an der Bundestagswahl teilzunehmen, weil ich in Gelsenkirchen nie gewohnt hätte. Natürlich habe ich einen Widerspruch gegen die Ablehnung geschrieben. Ich habe aufgrund der guten Informationen, die die AGMO e.V. vorher verschickt hat, geschrieben, dass es nach aktueller Rechtslage (Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Änderung des Bundeswahlgesetzes) eben nicht mehr notwendig ist, dass jemals - ganz gleich zu welchem Zeitpunkt oder wie lange auch immer - ein Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland bestanden hat. Leider war es da für eine Eintragung in das Wählerverzeichnis schon zu spät. Das war eine sehr große Enttäuschung.

Trotz der Enttäuschung, als ich abermals durch eine Mitteilung der AGMO e.V. von den Möglichkeiten der Teilnahme als Deutscher im EU-Ausland an der Europawahl in einem bundesdeutschen Wahlkreis gehört habe, versuchte ich noch einmal ins Wählerverzeichnis eingetragen zu werden. Ich habe einen Antrag an das zuständige Wahlamt nach Berlin-Mitte gesendet und nach drei Wochen bekam ich eine Antwort. Endlich habe ich es geschafft! Es war ein einzigartiges Gefühl. Eine Mischung aus Stolz und Glück. Das Bewusstsein als ein Deutscher anerkannt zu werden, ist einfach unglaublich schön. Und so habe ich schließlich am 29. April 2014 die Unterlagen für die Wahl ausgefüllt und nach Berlin gesendet. Geschafft!

Es ist klar, dass sich die Bundesregierung zur Verantwortung zu den deutschen Minderheiten bekennt. Dass das natürlich mit Geld verbunden ist, stimmt auch. Aber für viele Leute wie mich geht es nicht um die Finanzen. Die finanzielle Unterstützung ich natürlich auch wichtig - aber  in meinen Augen hat die Möglichkeit zu wählen, mehr zu unserem Selbstbewusstsein als deutsche Staatsbürger beigetragen, als alle vorherigen Projekte. Und dafür will ich mich bedanken.

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.