Es ist Fünf vor Zwölf für die deutsche Kultur in Oberschlesien

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Am Donnerstag, den 07. Juli 2011, hielt Tobias Norbert Körfer, Vorsitzender der „AGMO e.V. – Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen“ im Rahmen eines Burschenschaftlichen Abends der Örtlichen Burschenschaft einen Vortrag unter dem Titel "Menschenrecht auf Muttersprache- Nicht für Deutsche? Die fehlenden deutschen Kindergärten und Grundschulen in der Republik Polen" auf dem Haus der Stuttgarter Burschenschaft Ghibellinia.

v.l.: Sprecher der Örtlichen Burschenschaft Stuttgart, Tobias Norbert Körfer

Das Verlangen nach solchen Institutionen gründet dabei auf das Verbot der deutschen Sprache zwischen 1945 und 1989, so daß die heutige Generation von Großeltern und Eltern diese wenn überhaupt nur heimlich erlernen konnte und somit nicht im erforderlichen Maße an die Kinder und Kindeskinder weitergeben kann. Diese Forderungen stellen nicht nationalistische Hirngespinste dar, sondern sind originär europäisch und werden durch internationale Menschenrechtskonventionen, EU- Richtlinien und die polnische Verfassung ausdrücklich gedeckt.

Grundlage für die Überlegungen, daß auch zukünftig eine aktive und sich als solche verstehende Deutsche Volksgruppe in Oberschlesien existiert, ist die Annahme, daß die gesamte Identität und Kultur eines Individuums auf der Muttersprache gründet. Der emerierte Erzbischof von Oppeln, Prof. Dr. Alfons Nossol, der sowohl von der deutschen als auch der polnischen Bevölkerung Oberschlesiens als Autorität angesehen wird, beschrieb die Bedeutung der Muttersprache wie folgt: „Aus soziologischer Sicht ist es zweifellos berechtigt, der Sprache eine zentrale Rolle für die Bildung ethnischer Gemeinschaften zuzuschreiben. Sprache ist das wesentliche Medium für soziale Interaktion und soziale Beziehungen.“
Nach der verbreiteten Meinung der Sprachwissenschaftler sind für das Erlernen der Muttersprache die Jahre von der Geburt bis zum zehnten Lebensjahr die wichtigsten. In diesem Alter sind es heute also die Urenkel der nichtvertriebenen Ostdeutschen. Durch den Assimilierungsdruck seit dem Zweiten Weltkrieg ist das deutsche Sprachwesen nur noch rudimentär ausgebildet. Neben Modellen wie bilingualen Schulen oder Ergänzungsunterricht mit maximal drei Wochenstunden in deutscher Sprache ist für die AGMO e.V. die einzige Möglichkeit, die Entwicklung der letzten Dekaden umzudrehen und Bildungseinrichtungen zu errichten, in denen durchgehend in der deutschen Sprache unterrichtet wird. Die AGMO e.V. hält die flächendeckende Einrichtung von deutschen Kindergärten und Grundschulen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße für unabdingbar, um den Fortbestand der deutschen Volksgruppe zu gewährleisten.

Um einen Überblick über die Situation der deutschen Bildungseinrichtungen in Oberschlesien zu gewinnen, führte die AGMO e.V. im Jahr 2007 eine Studie in Form von Umfragen durch, in denen Umfang und Verfügbarkeit deutschsprachiger Erziehung erhoben wurde. Das Ergebnis war, daß mit sehr wenigen Ausnahmen überhaupt keine Einrichtungen existieren, in denen Deutsch entsprechend den Regelungen des polnischen Minderheitengesetzes durchgehende Unterrichtssprache ist. Sollte in den nächste drei bis fünf Jahren keine Wende eintreten, so ist die Entwicklung zur Assimilation nicht mehr umkehrbar.

Als positives Gegenbeispiel zur verheerenden Lage in der Republik Polen ist die Situation der deutschen Volksgruppe in Ungarn zu nennen. Dort befinden sich neben deutschsprachigen Kindergärten mehrere Schulzentren, die es ermöglichen, ein in der Bundesrepublik anerkanntes Abitur abzulegen. Neben den daraus resultierenden identitätsstiftenden Impulsen profitiert hier auch die ungarische Mehrheitsgesellschaft von, was das Beispiel der Daimler AG zeigt. Zunächst hatte diese den Bau eines neuen Montagewerkes in Oberschlesien geplant. Aufgrund der starken Deutschen Volksgruppe und der dortigen Infrastruktur entschied man sich jedoch dafür, das Werk in Fünfkirchen zu errichten und eben nicht im oberschlesischen Bischofstal.

Wie ein Lebensweg in einer deutschen Volksgruppe außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aussehen kann, zeigt eindrucksvoll die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Aufgewachsen im Westen Rumäniens lebte sie eine Kindheit und Jugend, die geprägt war von deutscher Kultur und Identität. Erst auf dem Gymnasium erlernte sie die rumänische Sprache, so daß sie in dieser Zeit ebenso ein Teil der rumänischen Gesellschaft wurde.

Mit einem elektronischen Rundschreiben im November 2008, in dem die Bundesregierung darum gebeten wurde, in deutsch-polnischen Regierungskonsultationen das vollständige Fehlen deutscher Kindergärten und Grundschulen zur Sprache zu bringen, wandte sich die AGMO e.V. u.a. auch an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Norbert Lammert MdB. Dieses Schreiben wurde von Prof. Lammert an den Petitionsausschuß weitergeleitet, in dem Kersten Steinke MdB (Die Linke) den Vorsitz inne hat. 26 Monate später wurde dem Bundestag der Antrag mit der Empfehlung diesen abzulehnen, zur Abstimmung vorgelegt. Dieser Empfehlung folgte der Bundestag einstimmig! Daher äußerte sich Tobias Norbert Körfer kritisch zur Art und Weise der Wahrnehmung der Schutz- und Obhutspflicht für die Deutschen östlich von Oder und Neiße durch die bundesdeutsche Politik.

 

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.