27. Juli 2011
Zum 22. und 23. Juli 2011 lud die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen unter dem Titel „20 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag – Haben die Erwartungen sich erfüllt?“ nach Königswinter zu einer zeithistorischen Tagung. Verschiedene Aspekte des Vertragswerkes aus dem Jahr 1991 - wie Volksgruppenrecht, Rückgabe von Kulturgütern und kulturelle Zusammenarbeit - sollten beleuchtet werden. Deutsche und polnische Professoren, sowie der Vorsitzende des Verbandes deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), Bernard Gaida, aber auch der Vorsitzende der AGMO e.V. aus Bonn, Tobias Körfer, und Dr. Peter Schabe von der Stiftung deutsch-polnische Kulturpflege und Denkmalschutz lieferten interessante Beiträge mit unterschiedlichen Ansatzpunkten.
v.l.: Hans-Günther Parplies (Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen), Tobias Norbert Körfer (Vorsitzender der AGMO e.V.), Peter Oprzondek (Ehrenvorsitzender AGMO e.V.), Dr. Rudolf Landrock (Vorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU, Kreisverband Bonn).
Zunächst wurden von Vertretern der Bundes- und Landesregierung NRW allgemeiner gehaltene Grußworte vorgetragen. Ein hoffnungsvolles Signal ging von der Rede der Vertreterin des Bundesinnenministeriums, Ministerialrätin Müller aus. Sie sprach erstaunlicherweise unter anderem von deutschsprachigen Kindergärten und Grundschulen in Trägerschaft der deutschen Organisationen in der Republik Polen, wie sie die AGMO e.V. seit Jahren fordert.
Prof. Gornig aus Marburg und sein Kollege Kotowski aus Bromberg gingen in ihren Referaten völkerrechtlichen und politikwissenschaftlichen Aspekten des Nachbarschaftsvertrages auf den Grund. Gornig thematisierte die Kriterien, nach denen eine nationale Minderheit festgestellt werden könne. Er arbeitete zudem die Unterschiede zwischen der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen und der polnischsprachigen Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik Deutschland heraus. Beide Gruppen seien nicht gleichzusetzen. Die Rückgabe von Kulturgütern betreffend betonte er, daß es unter keinen Umständen ein Recht auf deren Zurückbehaltung gäbe. Eine gegenseitige Aufrechnung, wie sie die polnische Seite anstelle, fände im Völkerrecht keine Grundlage. Prof. Kotowski sprach über den Einfluß des Nachbarschaftsvertrages auf das deutsch-polnische Verhältnis. Dabei bezeichnete er die Kaczynski-Ära als große Belastungsprobe des Nachbarschaftsverhältnisses. Seiner Ansicht nach störten das Zentrum gegen Vertreibungen und die Preußische Treuhand weiterhin die Beziehungen. Unter Merkel und Tusk hingegen seien hektische Aufgeregtheiten nicht mehr üblich. Beide Referenten bewerteten den Nachbarschaftsvertrag und dessen Auswirkungen durchweg positiv. Prof. Gornig sprach gar von einer vorbildlichen Erfüllung.
Der Vortrag von Prof. Karol Sauerland aus Warschau hingegen, der sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen im europäischen Kontext befasste, war nach dem Geschmack des Publikums zu allgemein gehalten. Polen und Deutschland teilten, so Sauerland, hauptsächlich Eines: den Blick nach Osten.
Daher sei es auch nicht verwunderlich, wenn die polnische Regierung bezüglich Rußland die passive deutsche Haltung kopiere, was jedoch kritisch zu bewerten sei.
Die Ansprache des Vorsitzenden der AGMO e.V., Tobias Körfer, zur Sprach- und Identitätsproblematik der deutschen Volksgruppe sowie die Rede von Bernard Gaida zur aktuellen Situation der deutschen Volksgruppe in Polen, ließen zunächst eine große inhaltliche Nähe vermuten. Körfer sprach jedoch über das, was von den Regierungsabsprachen an der Basis der Deutschen z.B. in Oberschlesien nicht ankomme. Deshalb wären diesbezügliche Erwartungen an den Vertrag nicht erfüllt worden. Die polnische und die deutsche Bundesregierung verhielten sich gegenüber der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen oftmals desinteressiert aber auch seitens der gewählten Vertreter der Deutschen in der Republik Polen wäre manches Mal mehr Initiative zu wünschen. Gaida betonte die übergeordneten Aspekte des organisatorischen Handelns seines Verbandes. Während Körfer unter Beibringung verschiedener Beispiele die strukturelle Benachteiligung der Deutschen in der Republik Polen nachweisen konnte, sowie eine baldige Änderung im Handeln der Bundesregierung und in der Verbandspolitik des VdG anmahnte - so fehlen bis auf den heutigen Tag deutsche Kindergärten und Grundschulen in der Republik Polen vollständig - schilderte Gaida das bisher Erreichte und die Pläne des VdG in politischen Bezügen.
Im Vortrag von Prof. Stankowski aus Krakau kam zum Ausdruck, daß mit das größte Manko bei der historischen Verständigung die bis 1989 politisch vollkommen tabuisierte Vertreibung der Deutschen sei. Auch heute noch täte man sich in Polen sehr schwer den Begriff „Vertreibung“ überhaupt zu akzeptieren. Für die Deutschen hingegen sei die Vertreibung ein fast noch größeres Trauma als die Niederlage im Zweiten Weltkrieg.
Mit dem „kulturellen“ Teil des Nachbarschaftsvertrages beschäftigte sich Dr. Schabe aus Görlitz. Ihm gelang es, das spezielle Thema der Denkmalpflege den Zuhörern auf erfrischende Weise nahe zu bringen. Die Umsetzung des Nachbarschaftsvertrages sei hier nicht optimal. Dies würde vor allem immer wieder dann deutlich, wenn es darum ginge, die spezifisch deutsche Geschichte eines Denkmals durch eine Restaurierung zu zeigen.
Die Erwartungen der Teilnehmer an das Seminar haben sich durchaus erfüllt. Hingegen ist es um die die Rechte der deutschen Volksgruppe weniger gut bestellt. Bleibt nur zu hoffen, daß besonders die deutsche Volksgruppe betreffend, von der Tagung neue Impulse für die Arbeit von landsmannschaftlichen Verbänden und Bundesregierung ausgehen werden.